Vernetzungen
In seinem neuen Programm befasst
sich das Blockflötenensembles diferencias mit Vernetzungen aller Art.
Ausgehend von Conrad Steinmanns Stück Netz 2 (2014) und der
Auftragskomposition von Victor Ekimovskij ‚In a cave‘ (2014), die hier beide
zur Uraufführung gelangen werden, knüpften wir ein Programmkonzept, das
sowohl Altes mit Neuem vernetzt, wie auch innerhalb der einzelnen Neuen und
Alten Stücke in mannigfaltiger Weise Vernetzungen hörbar macht. So z.B. in
den Stücken des späten 13. Jahrhunderts mit ihrer 3-4stimmigen Polyphonie in
gleicher Stimmlage, wie auch in den
russischen Stücken des
17. Jahrhunderts im Demestwo-Stil - eine mit vielen Dissonanzen
angereicherte Form der frühen Mehrstimmigkeit. Netzartige Strukturen finden
sich ebenfalls überall in den Stimmkreuzungen und Querständen der
chromatischen Musik von
Claude Le Jeune (c. 1530 – 1600) und Giovanni Maria Trabaci (ca.
1575 – 1617) wie auch in Ekimovskijs Werken, sowohl im Fadengewirr der
aufsteigenden Papierdrachen seines ‚Kites flying‘ als auch in der vernetzten
Oberfläche der sich begegnenden Stalaktiten und Stalagmiten.
Victor Ekimovskij
(* 1947 in Moskau)
Er
studierte in Moskau am Gnesin-Institut Komposition bei Aram Chačaturjan und
Musikgeschichte bei Konstantin Rozenšil'd (Rosenschild) und schloss seine
Ausbildung 1971 ab. Anschliessend trat er in eine musikwissenschaftliche
Aspirantur am Leningrader Konservatorium ein, wo er 1978 sein Studium bei
Galina Filenko beendete. 1983 promovierte er über die Musik von Olivier
Messiaen, seine Dissertation wurde 1987 publiziert. Über ein Jahrzehnt war
Ekimovskij als Redakteur und Herausgeber beim Staatlichen Musikverlag Muzyka
in Moskau tätig und bereitete u.a. eine Reihe von Bänden der
Šostakovič-Gesamtausgabe vor. Heute wirkt er als freischaffender Komponist
und Musikwissenschaftler.<
Kites flying (Flüge luftiger Drachen): «Das Stück
wurde im Auftrag von Conrad Steinmann (1992) geschrieben und ist vom Spiel
dieses wunderbaren Musikers inspiriert. Ich dachte lange über die Rolle und
die Stellung der Blockflöte in der zeitgenössischen Musik nach, um die
mögliche Schlussfolgerung daraus zu ziehen, dass ihr bildlicher Ausdruck im
Einklang mit den Bewegungen des Himmels steht. So kam ich auf die Idee
dieses Stückes, in dem vier Blockflöten den ganzen Festtag ausdrücken, wenn
1000 luftige Drachen in den Himmel steigen.» Victor Ekimovsky
In a cave (stalactits and stalagmits) (1996/2014) for
4 bass recorders: «My piece In a cave is written for Conrad Steinmann
and his ensemble diferencias. Some years ago I wrote the piece for 4 soprano
recorders Kites flying and this year Steinmann asked me to write a
piece for 4 bass recorders (as he said: «from Heaven down to hell»). I like
recorders in any combinations and agreed to write a work for 4 basses. There
are stalactits and stalagmits in caves, and the imitation of these was the
main idea of my new piece. I think, it will be understood for the audience
during the performance». Victor Ekimovsky
Conrad Steinmann
4pm: Eigentlich ein Stück über
die Stille, die sich aber erst im Widerstreit mit heftiger, ununterbrochener
Bewegung (perpetuum mobile) durchsetzt.
Netz 2: Hommage an Claude Le
Jeunes Qu’est devenu ce bel oeil. Vier Renaissanceblockflöten
unterschiedlicher Grösse (Alt in f’, Tenor in c’, Bassett in g und Bass in
C) spielen dieselben Töne eines absteigenden chromatischen Tetrachordes –
gemäss der Terminologie aus der spätgriechischen Antike –, a-f#-f-e. Die je
unterschiedlichen Farben und Möglichkeiten der vier Flöten individualisieren
zunehmend die immer gleichen Töne, sodass sich aus einer strengen
Einstimmigkeit eine Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Stränge ergibt.
Lektüre 2: Vier grifflose
Obertonflöten, drei Triangel und zwei Lotosflöten bilden das Instrumentarium
zu einer Art «Lektüre» der letzten Geschichte aus Peter Bichsels ersten Buch
Eigentlich möchte Frau Blum den Milchmann kennenlernen. In
wiederholten Ansätzen gerät dabei das Abtasten des Textes von einem
nüchternen «Sprechen» zu einem Lamento-artigen Gesang.
Verschiedene Formen der
Mehrstimmigkeit begegnen uns in den älteren Stücken des heutigen Programms.
Strenge Ton- gegen- Ton-Setzung und streng definierte modale Rhythmik in den
spanischen Stücken der Sammlung Las Huelgas (nebst bordunartiger
Schreibweise) und der frühesten russischen Mehrstimmigkeit treffen auf
Wortrhythmus gebundenen Ausdruck in der Musik eines Claude Le Jeune oder
Pièrre Guédron oder auf chromatisch bis zum Äussersten gespannte Harmonik.
Jeder dieser Musik ist das zeitgebundene Bedürfnis eingeschrieben, immer neu
auf die Möglichkeiten der Zeit zu reagieren und vorhandene Grenzen zu
verschieben.
Conrad Steinmann
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